PLASTVERARBEITER war bei PolyMerge GmbH in Geretsried

Schweißprozesse in Fertigungskonzepte integrieren

Kunststoffschweißen in komplexen Dimensionen


Polymerge, Geretsried, stellt nicht nur Kunststoffschweißmaschinen her, mit der Tochtergesellschaft Inas Engineering werden auch komplexe Automatisierungsanlagen realisiert – unter anderem für die Automobilindustrie. Der PLASTVERARBEITER war vor Ort.

Rund 25.000 Einwohner zählt das in Oberbayern, im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen, gelegene Geretsried. Die Stadt in der Metropolregion München ist Heimat der Polymerge. Der Name verdeutlicht bereits das Tätigkeitsfeld des Unternehmens – Kunststoffschweißen beziehungsweise Kunststoffschweißanlagen.

2020 aus der damaligen BF Maschinen hervorgegangen, ist das Unternehmen mit seinen zahlreichen Technologien im Bereich des Kunststoffschweißens mittlerweile eine feste Größe am Markt.

„Polymerge ist nicht nur klassischer Hersteller von Schweißmaschinen, der ‚Integrator‘ sitzt quasi im Haus“, wie der Geschäftsführer und Inhaber Manuel Sieben ausführt. Gemeint ist die Inas Engineering, die seit April 2021 Teil des Unternehmens ist. „Inas bietet komplette Fertigungslinien mit der Kompetenz von Polymerge im Bereich Kunststoffschweißen.“ Davon profitiert auch der Markt, genauer gesagt die Hersteller, die beim Unternehmen anfragen. „Wir kennen die jeweiligen Anforderungen der Prozesse zueinander. Wenn wir ein Bauteil aufs Kunststoffschweißen auslegen, wissen wir was genau benötigt wird. Es ist viel einfacher, wenn alles aus einer Hand kommt“, so Sieben.

Alles aus einer Hand
Beide Unternehmen sitzen zusammen am Standort in Geretsried und profitieren hier von einer hohen Fertigungstiefe. Die Hallen beherbergten ursprünglich einen Hersteller von Sessel- und Kabinenliften – die vorhandene Infrastruktur erweist sich nun als Vorteil. Von der Konstruktion, Elektroplanung & Schaltschrankbau, SPS & Roboter-Programmierung, CNC-Zerspanung, Schlosserei, Lackiererei, Montage, bis hin zur Inbetriebnahme und Service findet sich alles unter einem Dach. Insgesamt stehen 2.765 m² Produktionsfläche zur Verfügung. Das Unternehmen hat sich dabei auf das Ultraschall-, Heizelement-, Heißgas-, Laser-, Zirkularreib-, das Infrarotschweißen sowie das Ultraschall- und Heißnieten spezialisiert.

Heißgasschweißen mit patentiertem Düsenkonzept
Noch recht neu im Portfolio ist das Heißgasschweißen. Hierbei wird Stickstoff erhitzt – je nach Materialart auf bis zu 500 °C. Durch den Stickstoff wird die Wärme auf den Kunststoff übertragen. Das Verfahren selbst ist kontaktlos. Da es sich bei Stickstoff um ein inertes Gas handelt, bildet sich zudem eine Schutzgasatmosphäre. „Das Heißgasschweißen bietet sich vor allem da an, wo Materialien verarbeitet werden, die oxidationsempfindlich sind wie PA6.6 und PA6.12“, erklärt Sieben. Das trifft beispielsweise auf Anwendungen im Automobilbereich, wie Filter oder Ansaugkanäle zu.

Von VAB-Wegner aus Minden stammt dabei das patentierte Düsenkonzept. Die Düse, durch die das Gas über mehrere Zonen, von der Verteilerplatte aus eingeblasen wird, ist 3D-gedruckt. Darin eingearbeitet ist eine Gitterstruktur, die dafür sorgt, dass ein Staudruck entsteht und das Gas turbulent verwirbelt wird. „Damit erreichen wir eine sehr konstante Temperaturverteilung“, betont Sieben und ergänzt: „wir können den Gasstrom auch nach innen umlenken. Das ist in dieser Form derzeit auf dem Markt noch nicht verfügbar.“ Das Verfahren steht dabei spiegelhaft für das Auftreten des Unternehmens, mit neuen, innovativen Verfahren, frischen Wind in den Markt zu bringen. Oder um es mit den Worten des Geschäftsführers auszudrücken: „Die Kruste am Markt aufzubrechen.“

Automobilindustrie im Wandel – Herausforderung und Chance
Mit Blick auf die Automobilindustrie fällt dem Kunststoffschweißen eine tragende Rolle zu. Neue, alternative Antriebstechnologien wirbeln gerade das Altbekannte gehörig durcheinander. Hersteller müssten sich deshalb neu orientieren. Derzeit herrsche eine ziemlich große Verunsicherung, insbesondere bei den Tier1s, wie Sieben verrät. Diese würden vermehrt flexible Produktionsmittel oder Umbauten bestehender Anlagentechnik nachfragen. Beschäftigte sich das Unternehmen in der Vergangenheit überwiegend mit Fertigungsanlagen für Kraftstofftanks, sind nun vermehrt Kühlwasserausgleichsbehälter, Interieur- sowie Exterieurapplikationen gefragt. Diese benötigt die Automobilindustrie unabhängig vom Antriebskonzept.

„Wir haben aber auch viele Anfragen hinsichtlich Wasserstofftanks, bei denen innenseitig der Liner aus Polyamid gasdicht geschweißt und hinterher mit einer Endlosfaser umwickelt wird.“ Das technische Know-how im Interieurbereich von Automobilen liefert das Tochterunternehmen Inas. Überall dort, wo es auf hochqualitative Oberflächen mit ästhetisch ansprechendem Design, wie Armaturenträger, Dekorblenden oder auch Türinnenverkleidungen, ankommt, liefert das Unternehmen Anlagen an namhafte Automobilhersteller. Der Automotivebereich ist zugleich größter Umsatztreiber der Polymerge. Rund 80 % aller Aufträge entfallen auf diesen Sektor.

Kunststoffschweißen anwendungsspezfisch und vollautomatisiert
Beim Blick in die Montagehalle wird klar, wie komplex und vielschichtig eine vollautomatisierte Fertigungslinie aussehen kann. Für einen Automobilhersteller realisiert man aktuell eine Tankbearbeitungsanlage aus insgesamt 11 miteinander verketteten, robotergestützten, Stationen. Drei dieser Abschnitte, auf denen die Allrad-Variante eines bekannten Pkw-Modells bearbeitet wird, werden derzeit noch vor Ort finalisiert. Konkret wird auf diesen Abschnitten die Tankblase über ein Förderband in die Bearbeitungsstation bewegt. Sämtliche Stationen sind dabei in Förderrichtung kaskadiert aufgebaut.

Jeder Kraftstofftank wird 30 bis 40 Bearbeitungsoperationen unterzogen. Der eigentliche Tank besteht aus fünf Schichten – außen PE, gefolgt von einer EVA-Schicht als Haftvermittler, EVOH als Diffusionsbarriere, sowie einer weiteren EVA- und PE-Schicht. „Das eigentlich formgebende ist das Polyethylen, das jedoch nicht diffusionsdicht gegenüber Kohlenwasserstoffen ist“, erklärt Sieben. Und weiter: „Deswegen wird eine EVOH-Schicht in der Mitte benötigt, um die Diffusion zu verhindern“. Hergestellt werden die Tanks entweder im Blasform- oder im Tiefziehverfahren. An einer weiteren Station werden in die Tanks sodann Auskreisungen eingebracht. Hierbei werden spanfrei Öffnungen in den Tank geschnitten, um anschließend darauf die Tankventile schweißen zu können. „Gerade wenn die Tanks blasgeformt werden, besitzen diese enorm große Toleranzen“, wie der Geschäftsführer hervorhebt.

Mit dem Heizelementschweißen können die meisten dieser Toleranzen egalisiert werden. „Gemeinsam mit Unternehmen testen wir aber auch das Infrarotschweißen von Tanks.“ Der Geschäftsführer verweist zudem auf ein weiteres an dieser Bearbeitungsstation angewandtes Verfahren – dem Rotationsreibschweißen sowie das Zirkularreibschweißen. Die Halterungen, an denen die Kraftstoffschläuche geführt werden, werden demnach entweder rotationsgeschweißt oder mit dem Zirkularreibschweißen an die Tanks verbunden.

Warum eine hohe Fertigungstiefe ein Vorteil ist
Die Flexibilität der Anlagen ist enorm. Das trifft auch auf die Möglichkeiten der Fertigung vor Ort zu. So werden etwa Maschinengestelle in der hauseigenen Schlosserei zugeschnitten und geschweißt. Das Unternehmen fungiert zudem als Auftragsfertiger für unternehmensfremde Projekte. Neben Rollstuhlfahrerrampen für Verkehrsbusse werden beispielsweise auch sogenannte Freibewitterungsboxen für Automobilhersteller gefertigt. Diese werden eingesetzt, um Alterungsprozesse von Bauteilen im Sonnenlicht zu simulieren beziehungsweise zu beschleunigen.

Zur bereits erwähnten Fertigungstiefe gehört auch ein eigener Zerspanungsbereich. Vier 3-Achs- und zwei 5-Achs-Bearbeitungszentren stehen dort bereit. Gefertigt wird nicht nur für die eigenen Bedürfnisse, auch andere Schweißmaschinenhersteller am Markt greifen auf das Know-how am Standort zurück, wie Sieben erklärt. Auf dem Betriebsgelände wird darüber hinaus eine Lackiererei betrieben. In den Hallentrakten findet sich zudem ein Technikum, welches Möglichkeiten zur Kundenbemusterung mit unterschiedlichen Anlagen beziehungsweise Schweißverfahren bietet. Darunter findet sich mitunter das Zirkularreibschweißen wieder. Bei diesem Verfahren wird die Schmelzenergie durch Reibung zwischen den Fügepartnern erzeugt. Es eignet sich für Bauteilgrößen bis 150 x 150 mm² sowie für nicht-symmetrische Bauteile. Die Schwingung wird in harmonischen kreisförmigen Bewegungen erzeugt. Dadurch ergeben sich wesentlich geringere Beschleunigungsbelastungen.

Das Werkzeug sowie der obere Fügepartner werden kontinuierlich bewegt, ohne regelmäßig in entgegengesetzte Richtungen beschleunigt zu werden. Dadurch entstehen umlaufend identisch aussehende Schweißnähte. Das bietet sich dort an, wo das Ultraschallschweißen aufgrund der hochfrequenten Anregung nicht eingesetzt werden kann und das Laserschweißen aufgrund wirtschaftlicher- oder aus Zugänglichkeitsgründen nicht sinnvoll einzusetzen ist. Durch die vergleichsweisen hohen Frequenzen von bis zu 300 Hz sowie durch den bidirektionalen Bewegungsablauf entstehen sehr fein ausgeprägte Schweißnähte bei kurzen Schweißzeiten von etwa 2 s.

3D-Druck trifft Infrarotschweißen
Das Verfahren mit dem optisch wohl auffälligsten Erscheinungsbild ist das Infrarotschweißen. Zum Einsatz kommen hier 3D-gedruckte Emitter aus keramischen Werkstoffen. Das Know-how des Unternehmens umfasst hierbei das additive Fertigungsverfahren, die Modifikation des Werkstoffes zur Optimierung der elektrischen Eigenschaften sowie die elektrische Ansteuerung der Strahler. Großer Vorteil des Verfahrens ist die hohe Gestaltungsfreiheit. Es lässt sich bei großformatigen, dreidimensionalen Bauteilen anwenden, beispielsweise im Automotive-Bereich für Interieur- oder auch Exterieurteile. Zudem ist es partikelfrei. Im Technikum wird unter anderem daran gearbeitet, das Verfahren weiter zu optimieren.

„Die Keramikstrahler selbst sind bis etwa 1.400 °C einsetzbar“, erklärt Dr. Tobias Beiß, Head of Product Development. „Mit anderer Materialzusammensetzung sind auch Temperaturen zwischen 1.600 und 1.700 °C möglich.“ Am Markt erhältliche Metallfolienemitter würden demnach meist wesentlich früher oxidieren, bei 800 bis 900 °C. Glasstrahler hingegen fangen erst bei etwa 1.800 °C an zu emittieren. Wobei das Glasrohr die Gestaltungsmöglichkeiten sowie das Emissionsspektrum stark beschränkt. Geschlossene Geometrien oder Biegeradien kleiner 10 mm sind hiermit praktisch nicht umsetzbar, diese Limitierungen haben die Inframerge Emitter aus Keramik nicht. „Was die Temperaturen anbelangt, können wir beim Infrarotschweißen das Keramikmaterial ab 300 °C aufwärts bis zum Materiallimit betreiben“, so Beiß. Auch die Abstrahlungswellenlänge und die Temperatur lasse sich ideal für den jeweils zu bearbeitenden Werkstoff einstellen. „Wir können zudem in alle Raumrichtungen arbeiten“, erklärt Beiß und konkretisiert die Vorteile: „Die Zeit in der die Anlage aus der Ruhephase zum Bauteil hinfährt reicht schon aus, um den Keramikstrahler auf Arbeitstemperatur zu bringen.“ Zumeist würde das nur etwa 2 s beanspruchen. „Natürlich heizt sich auch hier die Peripherie auf und der Strahler wird, wenn er im Minutenzyklus taktet noch schneller warm.“ Metallfolienemitter hätten hingegen eine relativ lange Durcherwärmzeit bis zu 40, 50 oder gar 60 Min. Der Geschäftsführer ergänzt: „Die Nachteile der beiden anderen Emitter werden umgangen und die Vorteile vereint, mit einem recht breiten Temperaturfeld und einer schnellen Reaktionszeit.“ Im Technikum ist das Unternehmen derzeit dabei, das Verfahren noch weiterzuentwickeln. Zu den Entwicklungsarbeiten gehören auch Haltbarkeits- und Dauertests.

05. Mai. 2022 | 07:00 Uhr | von Dominik Bechlarz

https://www.plastverarbeiter.de/verarbeitungsverfahren/flexible-automatisierungsloesungen-und-kunststoffschweissverfahren-verschmelzen-295.html

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